Explizit Anerkennung schenken

Explizit Anerkennung schenken Veröffentlicht am 13. Dezember 2016 von Silke Helfrich GRUPPE: Verhältnis von Geben und Nehmen Der Kontext In einer deutschen Stadt existiert ein engagierter Verein für Solidarische Landwirtschaft (SoLawi), in dem weitgehend Konsens ist, dass Geben und Nehmen für strukturelle Veränderungen zu entkoppeln sind.1 Die Region ist EU-Modellregion, auch zur Förderung von Experimenten alternativer Ökonomie. Die Bedingungen für Neues sind gut. In der Region gibt es Demeter-Höfe, die seit Jahrzehnten ökologische Landwirtschaft betreiben, jedoch immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Regionale Nahversorgung ist das Thema, das die beiden Protagonisten des hier dargestellten Problems (die SoLawi sowie ein Demeter-Hof), die sich sehr schätzen, miteinander verbindet. Beiderseits ist geplant, dass der Demeter-Hof künftig Anbaupartner der SoLawi wird. Momentan hat die SoLawi einen Vertrag mit einem anderen Betrieb. Das Problem Zum System einer Solidarischen Landwirtschaft gehört, mit dem auszukommen, was produziert wird, und zugleich nur so viel Geld zu verbrauchen, wie in der Bieterrunde aller SoLawi-Mitglieder zusammenkommt. Das setzt der „Rundumversorgung mit allem zu jeder Jahreszeit“ Grenzen, was von den Mitgliedern generell auch akzeptiert wird. Die SoLawi dieses Falls wird im Wesentlichen von einer Gärtnerei versorgt und nicht von der anderen Konfliktpartie (dem Demeter-Hof). Konkret fehlen der SoLawi in der laufenden Saison Kartoffeln. Ein Vertreter wendet sich daher an die Bäuerin des Demeter-Hofes mit der Bitte, der SoLawi die Kartoffeln, die sie nicht verkaufen konnte, zu schenken. Die Bäuerin, selbst vielfach gemeinnützig engagiert, lehnt ab und formuliert pointiert: „Das ist eine Grundsatzfrage. Da füttere ich sie lieber den Tieren oder gebe sie auf den Kompost. … Wenn die Kartoffel auf dem Markt nichts kostet, heißt das etwa, dass auch eine SoLawi-Gemeinschaft sie für nichts nehmen kann?“ Der SoLawi-Vertreter: „Für mich ist selbstverständlich, dass man herschenkt, wenn man etwas hat und es nicht braucht.“ Und: „Im Prinzip heißt ein ‚Nein‘, dass es besser ist, etwas verrotten zu lassen als es zu verschenken.“ Die Lösung Im Moment des Konflikts wird keine Lösung gefunden. In der nachträglichen Reflexion wird klar: Es geht gar nicht um die Kartoffeln, um Schenken versus Verkaufen. Es geht auch nicht um persönliche Konflikte, sondern, in den Worten der Demeter-Bäuerin: „… um Empfindsamkeiten, Anerkennung und darum, dass ich selber entscheide. Sonst stimmt etwas nicht.“ Die Ergebnissituation Die SoLawi muss Kartoffeln zukaufen oder den Bedarf anderweitig decken. Die Bäuerin versteht das als notwendigen Lernprozess. Im gemeinsamen Gespräch wird zudem klar, dass die sehr unterschiedlichen Grundannahmen der Beteiligten (z.B. „Für mich ist selbstverständlich, dass man herschenkt, wenn man etwas hat und es nicht braucht.“) der jeweiligen Gegenseite nicht zugänglich waren. Beide Seiten sind künftig an optimalen Problemlösungen interessiert. Der Schlüssel dafür liegt u.a. in folgenden Mustern. Die Muster [M] Freiwilligkeit ist Trumpf → „Es geht darum, dass ich selber entscheide. Sonst stimmt etwas nicht.““ [M] Explizit Anerkennung schenken Die Wechselwirkungen [M] Grundannahmen offenlegen [M] Geben und Nehmen entkoppeln [M] Wertschätzungskette statt Wertschöpfungskette [M] Fairnessempfinden berücksichtigen 1„ Entkopplung von Geben und Nehmen“ und damit Abschied vom Prinzip des Äquivalententauschs ist ein allgemeines Muster gesellschaftlicher Transformation. Die sogenannte „Bieterrunde“, so wie sie in dieser Solidarischen Landwirtschaft praktiziert wird, ist eine ihrer Spezifikationen. Sie wird genutzt, um diese Entkopplung in die Praxis zu bringen, so dass einerseits jede/r bekommt was er oder sie braucht, und andererseits jede/r gibt, was er oder sie kann. In einer Bieterrunde wird der Gesamtfinanzierungsbedarf der jeweiligen Gemeinschaft für das kommende Jahr vorgestellt, also alle Kosten, die im Zusammenhang mit der Produktion des Sortiments entstehen (z.B. Saatgut, Löhne, Maschineneinsatz). Anschließend schreibt jedes Mitglied auf einen Zettel, mit welcher Summe er oder sie sich am Budget beteiligen kann und möchte. Die Gebote werden eingesammelt und zusammengezählt. Wird das Budget erreicht, ist die Bieterrunde beendet. Ist das nicht der Fall, beginnt eine zweite Runde.